DIE
STEINZEIT-ung befasst sich nun mit einem begriff, der, so scheint es,
ein wenig in vergessenheit geraten ist: Die „Soziale
Gerechtigkeit“.
Nun,
wenn die arsenale des sich ganz langsam entwickelnden wahlkampfs 2013
wieder voll aufgefüllt werden müssen, wird die „Soziale
Gerechtigkeit“ in allen kalibern mit dabei sein. Ein besonderer
bedarf, auch des schwersten kalibers, wird sich ergeben, wenn die
unmenschliche tiefe des rentenabgrunds erkannt wird. -
Die
nicht einfache genaue bestimmung des begriffs „Soziale
Gerechtigkeit“ spornt den chronisten an, in seiner lebendigen
vergangenheit einmal nachzustöbern, ob er jemals etwas
entsprechendes erlebt habe, oder ob andere personen etwas erlebt
haben könnten, welches zur begriffserklärung beiträgt. Und das
ist der fall. Der chronist beginnt zwar wie bei einem märchen, was
aber pure faulheit zum nachdenken ist, weil ihm nichts besseres
einfällt. . .
Also:
Es war einmal, anfang der fünfziger jahre dvjhds drei
eisenbahnerwitwen. Die erste, witwe des bahnhofsvorstehers, die
zweite, witwe des betriebsassistenten, und letztlich die dritte,
witwe des eisenbahners, auch weichenschmierer genannt. Die
reihenfolge spiegelt die höhe der dienstränge und ,logo, der
gehaltsklassen wider.
Frau
bahnhofsvorsteher war mit der familie aus Schlesien geflüchtet, und
frau betriebsassistentens mann wurde nach dem krieg gemäss den
gesetzen des Alliierten Kontrollrat aus dem dienst entfernt, aber
post mortem voll rehabilitiert, und sie als witwe voll in ihre
rechte als beamtenwitwe zurückversetzt. Frau betriebsassistent wurde
ebenfalls vertrieben, und zwar 1920 aus Lothringen; ab, „Heim ins
Reich“, über die „Kehler Brück“, hochschwanger, mit nur
dreißig kilo handgepäck. Frau eisenbahner war ebenfalls vertrieben
worden, und zwar aus Ostpreußen. Frau bahnhofsvorsteher und frau
eisenbahner wunderten sich, dass sich in Deutschland vor über einem
viertel jahrhundert bereits schon vertreibungsdramen wie die ihrigen
abgespielt hatten. Und diese erkenntnis dämpfte ihren jammerpegel um
einiges, was von frau betriebsassistent als wohltuend empfunden
wurde.
Eines
tages wurde frau eisenbahner von einem vertreter an der haustür
belatschert, doch einen ofen zu kaufen. Sehr beliebt waren zu jener
zeit allzweck- öfen, in denen man kohle, holz, briketts und koks
verheizen konnte. Eine grundlegende, heikle sache; deswegen
versuchten geschäftemacher solche komplizierten heizgeräte gegen
sehr gutes geld an den mann, beziehungsweise an die frau zu bringen.
Frau
eisenbahner hatte pech, der ofen klappte nicht; sei es, dass sie ihn
nicht richtig bediente, sei es, dass der ofen wirklich murks war.
Anzumerken sei, dass der preis solch eines heizmöbels zu jener zeit
durchaus e i n monatseinkommen verschlingen konnte. Zu erwähnen
sei, dass sich frau eisenbahner bei frau bahnhofsvorsteher und bei
frau assistent als putzfrau für die wohnung betätigte, natürlich
gegen gute bezahlung.
Frau
bahnhofsvorsteher und frau assistent trafen sich öfters, weil sie in
ihrem ort nur hundert meter auseinander wohnten. Mit frau
eisenbahner, die in der nachbarstadt wohnte, trafen sie sich in der regel
nur dann, wenn diese die wohnungen der beiden putzte, was aber
regelmäßig mit einer tasse kaffee und einem längeren schwatz
beendet wurde.
Nach
einiger zeit erzählte frau bahnhofsvorsteher frau assistent, dass
frau eisenbahner ihr die adresse von dem händler mit dem
„allesbrenner“ –
eine sehr euphemistische bezeichnung für den an der haustür
vertriebene ofen –
gegeben, und diesen über alles gelobt habe, und morgen würde
bereits der von i h r bestellte ofen angeliefert. Frau assistent
beglückwünschte sie zu dem kauf, und sie wolle sich das gute stück
bald mal ansehen.
Nach
einer woche meldete sich frau bahnhofsvorsteher bei frau assistent,
sehr niedergedrückt und ratlos und erzählte, wie es ihr mit dem
neuen ofen ergangen sei. Nachdem der ofen angeliefert worden war,
hätten die ehemaligen kollegen ihres mannes den ofen an den kamin
angeschlossen. Schnell habe sie aber gemerkt, dass mit dem guten
stück etwas nicht in ordnung sei. Sie habe darauf hin frau
eisenbahner beim nächsten putztermin um rat über den umgang mit dem
ofen gebeten. Und deren erklärungen habe in dem ausspruch gegipfelt
: „Hach! Was bin ich
froh, dass ich nun nicht allein bin. Dass es nun auch andere
getroffen hat!“ Und dies hatte sie durchaus im tone der tiefsten
befriedigung gesagt. Darauf hin sei frau bahnhofsvorsteher so perplex
gewesen, dass sie noch nicht einmal mehr daran dachte, der frau
eisenbahner vorhaltungen zu machen, dass diese sie eigentlich b e t r
o g e n habe, weil sie nicht vor dem reinfall gewarnt worden sei. -
Eine
frage an die streiter für „Soziale Gerechtigkeit“: Versteht ihr
etwa s o w a s unter diesem schlagwort?
ME
bejot 9/12