Montag, 3. September 2012

"Soziale Gerechtigkeit"?









DIE STEINZEIT-ung befasst sich nun mit einem begriff, der, so scheint es, ein wenig in vergessenheit geraten ist: Die „Soziale Gerechtigkeit“.
Nun, wenn die arsenale des sich ganz langsam entwickelnden wahlkampfs 2013 wieder voll aufgefüllt werden müssen, wird die „Soziale Gerechtigkeit“ in allen kalibern mit dabei sein. Ein besonderer bedarf, auch des schwersten kalibers, wird sich ergeben, wenn die unmenschliche tiefe des rentenabgrunds erkannt wird. -
Die nicht einfache genaue bestimmung des begriffs „Soziale Gerechtigkeit“ spornt den chronisten an, in seiner lebendigen vergangenheit einmal nachzustöbern, ob er jemals etwas entsprechendes erlebt habe, oder ob andere personen etwas erlebt haben könnten, welches zur begriffserklärung beiträgt. Und das ist der fall. Der chronist beginnt zwar wie bei einem märchen, was aber pure faulheit zum nachdenken ist, weil ihm nichts besseres einfällt. . .
Also: Es war einmal, anfang der fünfziger jahre dvjhds drei eisenbahnerwitwen. Die erste, witwe des bahnhofsvorstehers, die zweite, witwe des betriebsassistenten, und letztlich die dritte, witwe des eisenbahners, auch weichenschmierer genannt. Die reihenfolge spiegelt die höhe der dienstränge und ,logo, der gehaltsklassen wider.
Frau bahnhofsvorsteher war mit der familie aus Schlesien geflüchtet, und frau betriebsassistentens mann wurde nach dem krieg gemäss den gesetzen des Alliierten Kontrollrat aus dem dienst entfernt, aber post mortem voll rehabilitiert, und sie als witwe voll in ihre rechte als beamtenwitwe zurückversetzt. Frau betriebsassistent wurde ebenfalls vertrieben, und zwar 1920 aus Lothringen; ab, „Heim ins Reich“, über die „Kehler Brück“, hochschwanger, mit nur dreißig kilo handgepäck. Frau eisenbahner war ebenfalls vertrieben worden, und zwar aus Ostpreußen. Frau bahnhofsvorsteher und frau eisenbahner wunderten sich, dass sich in Deutschland vor über einem viertel jahrhundert bereits schon vertreibungsdramen wie die ihrigen abgespielt hatten. Und diese erkenntnis dämpfte ihren jammerpegel um einiges, was von frau betriebsassistent als wohltuend empfunden wurde.
Eines tages wurde frau eisenbahner von einem vertreter an der haustür belatschert, doch einen ofen zu kaufen. Sehr beliebt waren zu jener zeit allzweck- öfen, in denen man kohle, holz, briketts und koks verheizen konnte. Eine grundlegende, heikle sache; deswegen versuchten geschäftemacher solche komplizierten heizgeräte gegen sehr gutes geld an den mann, beziehungsweise an die frau zu bringen.
Frau eisenbahner hatte pech, der ofen klappte nicht; sei es, dass sie ihn nicht richtig bediente, sei es, dass der ofen wirklich murks war. Anzumerken sei, dass der preis solch eines heizmöbels zu jener zeit durchaus e i n monatseinkommen verschlingen konnte. Zu erwähnen sei, dass sich frau eisenbahner bei frau bahnhofsvorsteher und bei frau assistent als putzfrau für die wohnung betätigte, natürlich gegen gute bezahlung.
Frau bahnhofsvorsteher und frau assistent trafen sich öfters, weil sie in ihrem ort nur hundert meter auseinander wohnten. Mit frau eisenbahner, die in der nachbarstadt wohnte, trafen sie sich in der regel nur dann, wenn diese die wohnungen der beiden putzte, was aber regelmäßig mit einer tasse kaffee und einem längeren schwatz beendet wurde.
Nach einiger zeit erzählte frau bahnhofsvorsteher frau assistent, dass frau eisenbahner ihr die adresse von dem händler mit dem „allesbrenner“ eine sehr euphemistische bezeichnung für den an der haustür vertriebene ofen gegeben, und diesen über alles gelobt habe, und morgen würde bereits der von i h r bestellte ofen angeliefert. Frau assistent beglückwünschte sie zu dem kauf, und sie wolle sich das gute stück bald mal ansehen.
Nach einer woche meldete sich frau bahnhofsvorsteher bei frau assistent, sehr niedergedrückt und ratlos und erzählte, wie es ihr mit dem neuen ofen ergangen sei. Nachdem der ofen angeliefert worden war, hätten die ehemaligen kollegen ihres mannes den ofen an den kamin angeschlossen. Schnell habe sie aber gemerkt, dass mit dem guten stück etwas nicht in ordnung sei. Sie habe darauf hin frau eisenbahner beim nächsten putztermin um rat über den umgang mit dem ofen gebeten. Und deren erklärungen habe in dem ausspruch gegipfelt : „Hach! Was bin ich froh, dass ich nun nicht allein bin. Dass es nun auch andere getroffen hat!“ Und dies hatte sie durchaus im tone der tiefsten befriedigung gesagt. Darauf hin sei frau bahnhofsvorsteher so perplex gewesen, dass sie noch nicht einmal mehr daran dachte, der frau eisenbahner vorhaltungen zu machen, dass diese sie eigentlich b e t r o g e n habe, weil sie nicht vor dem reinfall gewarnt worden sei. -
Eine frage an die streiter für „Soziale Gerechtigkeit“: Versteht ihr etwa s o w a s unter diesem schlagwort?
ME bejot 9/12