Hier
eine Weihnachtsgeschichte der anderen art, aus einer vergangenen
zeit. Die zeit ist vergangen, die geschichte(n) allerdings nicht.
Diese wiederholen sich ständig, und zwar in Neuen Kleidern. . . Die
kleider sind manchmal s o neu, dass die geschichten eher sehr a l t
aussehen. –
Neues
vom Kiefernmännlein aus W.
Einige von euch haben schon mal von dem
Kiefernmännlein gehört. Es ist ein Wicht, der in der Nähe der
Mettmanner-Quelle seine Heimat hat. Wo es herkam, weiß niemand.
Eines Tages war es da, ganz einfach so; nur ganz wenige haben es zu
Gesicht bekommen, und dies auch nur für kurze Augenblicke. Denn das
Kiefernmännlein ist gegenüber Menschen sehr scheu. Nur zu den
Tieren hat es Vertrauen; aber die können leider nichts erzählen.
Also:
Das Kiefernmännlein ist etwas größer als eine sehr große
Pusteblume. Es hat grüne Stiefelchen an, ein rotes Mützchen, einen
Umhang aus weißen Schafwollflöckchen und winzig-zarten Vogelfedern.
Sein Bart reicht ihm bis zu den Knien, und ist mit Tannen- und
Kiefernnadeln durchwebt.
Das
Kiefernmännlein trieb sich kurz vor Weihnachten im
Niermanns-Büschchen herum. Man erkannte dies daran, daß die
Wollflöckchen, die die Schafe beim Weiden am Stacheldraht hängen
ließen, plötzlich alle verschwunden waren. Man nimmt also an, daß
das Kiefernmännlein diese Wollflöckchen eingesammelt hat, um seinen
Umhang zu erneuern. Und da der kalte Winter auch einem ansonsten
wetterfesten Kiefernmännlein zu schaffen machen kann, achtet es sehr
darauf, schön warm gekleidet zu sein. Auch waren da einige Spuren in
Rauhreif und Schnee zu sehen gewesen, die weder zu Hund, Fuchs, Hase
gehörten. Kurz: aus all diesen Zeichen schloß man; das
Kiefernmännlein ist wieder im Büschchen.
Im
Kuhstall beim Bauern Niermann kündigte sich derweil gerade zum
Heiligen Abend ein frohes Ereignis an. Die Liese, eine prächtige
kugelrunde schwarz-bunte Kuh sollte bald ein Kälbchen bekommen.
Liese stand mit großen, glänzenden Augen in ihrem Stall. Ihr Fell
glänzte vor Schweiß. Nicht etwa weil es ihr kalt gewesen wäre,
zitterte sie, der Bauer hatte nämlich alle Öffnungen im Stall mit
dicken Strohballen zugestellt, und auch der Liegeplatz von Liese war
dick mit frischem Stroh ausgepolstert. Liese war also unruhig, und
hatte wohl auch etwas Angst. Sie senkte ihren Kopf, und sah ihren
alten Bekannten, das Kiefernmännlein, zwischen ihren Beinen
herumwuseln.
-
Das Kiefernmännlein kam öfters winters in die Ställe der Bauern,
um sich zu wärmen. Es fand eigentlich immer eine kleine Öffnung, wo
es durchschlüpfen konnte. Mit Vorliebe ging es in die Kuhställe;
dort bekam es sogar schon mal etwas Milch von den Kühen ab. In
Schweineställe ging das Kiefernmännlein äußerst selten - es roch
ihm darinnen viel zu schlecht. -
»Liese
du. Du gute Kuh. Du armes Tier. Wie geht es dir?« sagte das
Kiefernmännlein.
»Es
rollt und grollt. Ich hör den Sturm. Schad's meinem Wurm?« sagte da
die Liese.
Und
tatsächlich: Nicht nur Liese im Kuhstall war unruhig; auch der Bauer
drinnen in der guten Stube hörte öfters nach draußen, wie der
Sturm ums Haus fegte. Am späten Nachmittag hatte es sogar noch ein
Gewitter mit Donner und Blitz gegeben. Aber dies ist ja bei unserem
komischen Wetter in der letzten Zeit nichts Seltenes. -
Nun
bereitete sich die ganze Familie auf den Heiligen Abend vor. Die
Mutter richtete in der Küche das festliche Abendessen an. Die Kinder
schmückten den Weihnachtsbaum, und Vater kam gerade aus dem Stall,
wo er nach Liese geschaut hatte.
»Es
dauert wohl nicht mehr lange. Liese ist sehr unruhig. Wenn es nicht
anders geht, muß einer von uns heute Nacht zuhause bleiben«, sagte
der Bauer zu seiner Frau, und meinte damit den Gang zur Christmette
in die Kirche.
Währenddessen hatte bei Stefan und Wilfried am
Föhrenweg schon die Bescherung stattgefunden. Und auch die vier
Michaels; und Jan, Sascha, Nicole, Katja, Sonja, Elvis, Thomas,
Marcel, Marko, Dirk, dauerte es noch eine kleine Weile, und auch sie
freuten sich von Herzen über die schönen Weihnachtsgeschenke.
Der
Sturm toste derweil, und ein heftiger Regen überschüttete das Land.
Der große Baukran an der Baustelle des Jugendhauses drehte sich
schwerfällig im Sturme, als bediene ein geisterhafter Kranführer
das schwere Gerät. Oben am Ausleger, dort, wo der schwere Haken am
Stahlseil sich in die Tiefe senkt, klankt eine Scheinwerferlampe im
Sturme hin- und her.-
»Ruhig
Blut. Alles wird gut«, meinte das Kiefernmännlein zu Liese im
Kuhstall.
Da,
ein gewaltiger Krach! Das Stalltor flog auf und schlug heftig gegen
die Stallmauer. Ein kalter Windstoß riß die dämmenden Strohballen
vom Fenster über Lieses Stall. Die Ballen purzelten über Lieses
Leib, verletzten sie aber nicht. Erschreckt und verängstigt drängte
das Tier nach hinten, durchbrach mit Leichtigkeit die dünnen Latten,
drehte sich um, und war mit ein paar Sätzen aus dem Stall, und in
der stürmischen Nacht verschwunden. Verzweifelt kreischte das
Kiefernmännlein hinter dem Tier her: »Liebe Liese! Geh nicht auf
die Wiese. Du armes Tier, so bleib doch hier.«
Der
Bauer war durch das Schlagen der Stalltüre und das Kreischen der
Türangel aufmerksam geworden, und eilte in den Kuhstall. Er sah die
aus dem Schloß gerissene hin- und herschlagende Stalltür und Lieses
leeren Standplatz und wußte, daß es dieses Jahr keinen gemütlichen
Heiligen Abend geben würde.-
Er
alarmierte seine Frau und die Kinder, rief auch noch ganz schnell
einen Bekannten in der Nachbarschaft an und sie machten sich auf,
Liese im Niermanns Büschchen zu suchen. -
Währenddessen lief Liese voll Panik in Richtung
Mettmannerbach-Quelle, und das Kiefernmännlein kreischend und
atemlos hinterher. Liese verkroch sich angstvoll zitternd irgendwo in
dem Gebüsch, wo im Sommer immer die hohen Brennesseln wachsen. Das
getreue Kiefernmännlein immer um die Liese herum; wohl wissend, daß
Liese kurz vor der Geburt ihres Kälbchens stehend, aber nicht helfen
könnend.
Derweil stapften der Bauer und seine Helfer
zurück aus der Richtung Niermanns Büschchen, weil sie dort nichts
gefunden hatten. Sie legten sich gegen den Sturm und Regen nach vorne
gebeugt, und schritten suchend in Richtung Mettmannerbach-Quelle. Das
Kiefernmännlein sah die Menschen wohl näher kommen, konnte sie aber
leider nicht auf den Lagerplatz von Liese aufmerksam machen. Da fiel
sein Blick auf den riesigen Baukran an der Baustelle des
Jugendhauses. Es huschte hin, und machte sich an dem Baukran zu
schaffen.
Dann
kletterte es vorsichtig an dem Gestänge des Baukranes hoch. Oben
schlüpfte es durch ein kleines Loch in der Kranführerkabine, sauste
wie wild über den Schalttisch mit den vielen Schalthebeln und
Bedienungsknöpfen, knipste mit dem Füßchen einen Schalter an und
die große Scheinwerferlampe an der Auslegerspitze erstrahlte in
hellem Licht. Zufrieden hangelt es sich aus der Kabine heraus, und
klettert auf den Kranausleger. Der Sturm und der Regen zauste sehr an
seinem Gewande und der Bart flatterte heftig im Wind. Es kämpfte
sich langsam vorwärts zu der Stelle, wo die große Lampe hin- und
herschwang und ihren Scheinwerferstrahl ziellos durch die Nacht
streute.
Das
Kiefernmännlein hörte wie die suchenden Menschen rufend durch das
Gebüsch streiften. Es faßte mit seinen Ärmchen fest die große
Lampe und richtete den Strahl zu der Stelle, wo Liese im Gebüsch
lag. Ein Stückchen ihres weißen Fells schimmerte dem Sohn des
Bauern ins Auge, dank des Lichts der Lampe und er rief:»Hier ist
sie! Kommt alle hierher. Gott sei Dank, sie lebt!«
Alle
stürzten zu der Stelle. Die Taschenlampen und mitgeführten
Stalllaternen beleuchteten die Kuh Liese, wie sie zärtlich einem
Kälbchen, ihrem Kälbchen das Köpfchen leckte. Ein leises,
klägliches Meckern antwortete ihr. Sofort machte der Bauer die
notwendigen Handreichungen, während die anderen ganz schnell zum
Hofe liefen um Decken und Stroh zu holen. Sie breiteten dies alles
unter und um die beiden Tiere aus, damit diese nicht froren, weil es
nun heftig zu schneien begann. Der Bauer half der Kuh Liese, damit
diese ihre Mutterpflichten erfüllen konnte und dem Kälbchen Milch
gab.
Es
dauerte eine lange Weile. Der Schneefall wurde dichter, der Wind
legte sich. Wie durch Watte hörte man die Kirchenglocken, die die
Leute zur Christmette riefen.
Und
dann machte sich ein seltsamer Zug auf, um in die Geborgenheit des
Bauernhofes zu kommen. Vorneweg die Bäuerin mit Taschenlampe und
Stalllaterne. Dann der Sohn des Bauern mit dem neugeborenen Kälbchen
auf den Armen. Liese, die Kuh, trottete ganz langsam voran, gestützt
rechts und links von den Helfern. Hinten der Bauer, der Liese am
Hinterteil stützte und schob.
Inzwischen teilten sich die Schneewolken und ein
prächtiger Vollmond stand über dem Niermanns Büschchen. Er
beleuchtete den Zug und die Fußspuren im frisch gefallenen Schnee,
die vor ein paar Stunden noch nicht zu sehen gewesen wären. Der
Vollmond beleuchtete die schneegezuckerten Bäume und Sträucher, die
Menschen, die fröhlich und voller Weihnachtsstimmung aus der
Christmette nach Hause kamen und sich herzlich »Frohe Weihnacht!«
zuriefen. Ja, der Vollmond beleuchtete auch ganz, ganz am Ende des
Zuges ein Männchen, pusteblumengroß, mit grünen Stiefelchen, rotem
Mützchen und weißem Wollflockenmäntelchen und einem zerzausten
Barte. Es schlich sich im Schatten der Scheune am Hof vorbei und
trollte sich irgendwo im Büschchen.
-
Noch lange brannte in dieser Nacht das Licht im Wohnzimmer des Bauern
und die Familie ging regelmäßig in den Stall und erfreute sich an
dem zufriedenen Muhen von Liese und dem zarten Gemecker des
neugeborenen Kälbchens.
Schneekanone,
Schneekanone.
Schieß
mir ganz viel Schnee herbei.
Denn
sonst wird das morgen, ohne,
nichts
mit meiner Rodelei.
(Aus
dem buch „Vom Kiefernmännchen aus W. und andere Geschichten", in
der reihe „NeoLit aus dem Neanderthal®“),
erschienen 2010, ISBN 978-3-8423-2963-8
Kontakt:
bejot@gmx.at