Dienstag, 2. Oktober 2007

Fund aus der Römerzeit




F u n d a u s d e r R ö m e r z e i t

DIESTEINZEIT-ung berichtet von einer merkwürdigen Begebenheit, die sich vor einiger Zeit in Xanten, der alten Römerstadt am linken Niederrhein zugetragen hat.
Zwei Berichterstatter der STEINZEIT-ung wollten sich über die Fortschritte des Neubaus des Regionalmuseums Xanten erkundigen, welches sich genau neben dem Überbau der Großen Thermen erheben soll.
Der Rohbau war bereits abgeschlossen; das Weißgrau der glatten Fassade, und das Ziegelrot des abgestuften Daches vermittelt durchaus den Eindruck des Besonderen.
Aus den vom Regen glattgeklopften Böschungen der Abraumberge, welche die Bagger und Arbeiter beim Ausheben der Baugruben angehäuft hatten, stechen unzählige hellgelb und -rote Tonscherben von römischen Ziegeln hervor.
Der stellvertretende Leiter des Museums winkt lachend ab, als die Beiden ihm freudestrahlend selbst ausgepuhlte Scherben zeigen. Er führt sie zu einer Stelle an der Böschung, wo einige merkwürdige Dinge liegen: Ein Zollstock, ein Handschuh, ein schuhähnliches Gebilde gleich einem Legionärsstiefel, und ein cirka sechzig Zentimeter langes, grau-schwarzes Stück, welches einem Gummifiesel ähnelt.
s. Foto

Der Museumsmensch erklärt, dass diese vier Dinge in einer Amphore gefunden wurden, die beim Ausheben des Fundaments für den Neubau zum Vorschein gekommen war. Zwar sei das Gefäß bei der Bergung zerbrochen, aber der komplette Inhalt und die Scherben selbst seien geborgen worden. Allerdings sei in dem Handschuh ein mumifizierter menschlicher Daumen gefunden worden, der zur Zeit in dem Rechtsmedizinischen Institut in Duisburg untersucht wird. Ebenfalls werde man dafür sorgen, dass die anderen Dinge in der TH Aachen gründlich analysiert werden. Den außergewöhnlich guten Zustand der Fundstücke erkläre man damit, dass die betreffende Amphore glasiert gewesen sei, und mit einem Pfropfen, bestehend aus einem eingepassten Eichenholz-Klotz-welcher mit Pech und Bienenwachs eingelassen wurde-, verschlossen war.
DIESTEINZEIT-ung-Leute machten noch ein paar Fotos von der sich bereits abzeichnenden Inneneinrichtung des neuen Museumsbaus und versprachen, zur Einweihung des Neubaus nochmal vorbei zu schauen.
- Nach Wochen, die Eröffnung war bereits einige Tage vorüber, machten sich DIESTEINZEIT-ung-Leute nochmals auf, das Xantener Regionalmuseums zu besuchen. Eine Mitarbeiterin führte die beiden Männer durch die großzügig angelegten Ausstellungsräume. Dann erinnerten sie an die damals gefundene Amphore, die ihnen ihr Kollege vor Wochen vorgeführt hätte. Die Frau nickt und sagt, dass ihr Kollege gerade in Urlaub sei. Sie sei aber von diesem gebeten worden, den Berichterstattern von DIESTEINZEIT-ung alles zu erläutern.
Also: Die Amphore scheint ein amtliches Behältnis gewesen zu sein, und zwar ein Behältnis der damaligen römischen Militärpolizei. Dies ergebe sich aus einem Siegel, welches auf dem Tonkrug zu erkennen ist. Leider sei genau zwischen dem Namenszug ein Bruch des Gefäßes. Man erkenne zwei X , also römisch Zwanzig, und weiter U. UICT. CUT. Weiter beinhalte das Siegel die Gestalt eines sagenhaften Tieres, wahrscheinlich ein Tatzelwurm, also Drache. Es könnte sich um ein Legionszeichen des damaligen römischen Heeres handeln, und das Behältnis diente eventuell zur Aufbewahrung von Beweisstücken für eine Straftat oder gar Verbrechen. Leider habe man den Namen der Legion bis jetzt nicht in Erfahrungen bringen können.
Der Zollstock sei ein Gliedermaßstab, wie er im 3.Jahrhundert nach Christus in einem Vorort von Köln hergestellt wurde. Das wasserschlauchartige Gebilde sei ein Fangarm von einem Oktopus, welcher gegerbt, und mit Bleischrot gefüllt worden war. Der Legionärsstiefel konnte nicht näher bestimmt werden. Aber bei dem Handschuh sei man sich sicher. Es ist einer der Handschuhe, wie sie von den Heizern in den Großen Thermen verwendet wurden. Der in dem Handschuh gefundene Daumen sei nicht sauber abgetrennt, etwa als Strafe für irgend ein Vergehen abgeschnitten, sondern er sei mit Gewalt von der Hand abgerissen, entweder durch einen Arbeitsunfall oder durch einen Kampf. Im Übrigen würden die Ergebnisse dieser Erforschungen in den Fachzeitschriften veröffentlicht; was man denn sonst noch für die Herren tun könne . . .
Die beiden Herren dankten herzlich und verabschiedeten sich, nicht ohne dem Kollegen im Urlaub schöne Grüße auszurichten. -
Einen Mitarbeiter der STEINZEIT-ung ließ diese Sache nicht mehr los. Immer wieder betrachtete er die Zusammenstellung der ausgegrabenen Stücke auf dem Foto. Es musste eine Geschichte dahinter stecken. Denn was sollen diese banalen Dinge, von dem abgetrennten menschlichen Daumen einmal abgesehen, in einem verhältnismäßig stabilen Behältnis des römischen Militärs aus dem 3. Jahrhundert?
Er beschloss, seinen alten Schulfreund, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter in der Vatikanischen Bibliothek zu befragen, ob es dort irgendwelche Schriften oder Aufzeichnungen, Papyros oder Pergamente, über diese Gegend und Zeit des damaligen römischen Reiches gibt.
Die Antwort von dem Freund kam unerwartet schnell. Zufälliger Weise sei seine Arbeitsgruppe gerade beim Sichten von alten Pergamenten - tief, aus dem tiefsten Keller-, betreffs der sagenumwobenen Thebäischen Legion und deren Bataillonskommandeur Viktor. Tatsächlich seien umfangreiche Faksimile gefunden worden, welche eine gewisse Wichtigkeit einiger Vorgänge in jener Zeit signalisieren. Er könne allerdings hier an seinem Arbeitsplatz in der Bibliothek nichts anderes tun, als ihm die in Frage kommenden Schriften wiederum nur in Faksimile, allerdings elektronisch, übersenden. Für die Übersetzung müsse er selbst sorgen, was ihm als alten Lateiner wohl nicht schwer falle. Übrigens: Es müsse sich bei der Legionsbezeichnung weniger um die Zwanzigste Legion, also zwei X, sondern um die Dreißigste, U L P I A V I C T R I X. E X.G E R.I N F. handeln. Also ein X mehr, welches auf dem betreffenden Tonkrug mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Bruchkante verloren gegangen ist. Und der "Tatzelwurm" sei in Wirklichkeit das Abbild eines Steinbocks.
Natürlich ist der Mann mit diesem Vorschlag sehr einverstanden. Das Übersetzen kann er getrost seiner Tochter, Lehrerin für Griechisch und Latein, überlassen.
- Und so schälte sich nach Wochen eine Geschichte aus den übersandten Schriften heraus, welche sinngemäß, und in unserem heutigen Sprachverständnis so lautet:

"Bericht des 1. Ädilen der Colonia Ulpia Traiana, aus dem zweiten Herrschaftsjahr unserer hochverehrten göttlichen Majestät Aurelian Lucius Domitius, 1007 a.u.c.
Die Militärpolizei berichtete mir über folgenden Vorfall, wie er durch Beobachtungen und Aussagen von anwesenden Zeugen untermauert wurde:
- Ein Legionär bekam von seinem Vorgesetzten die Erlaubnis, nach Dienstschluss in den Großen Thermen als Heizer gegen Entgelt zu arbeiten. Der Umgang mit Feuer war ihm sehr vertraut, weil er er auf der anderen Rheinseite vor seinem Dienstantritt in der Legion als Köhler gearbeitet hatte.
Dieser Legionär fuhr eines Tages mit einem Mietgespann und mit einigen, bei einem Weinhändler erworbenen mit Wein gefüllten Amphoren zum Hafen, um sich mit dieser Ladung auf einer Rheinprähme einzuschiffen. Er wollte zum fränkischen Ufer übersetzen. Es war bekannt, dass er dies öfters tat. Dabei gab es die üblichen derben Neckereien wie sie unter Männern üblich sind. Zum Beispiel fragten einige Kameraden, ob er diesen Wein etwa den Kühen auf der anderen Seite zu saufen gebe, damit diese Wein aus ihren Eutern lassen. Oder ob er gar diesen Wein für diesen merkwürdigen Kult der Christen brauche?
Liphardt so hieß der Legionär, war andererseits nicht mundfaul und höhnte über die Mithras-Buben, die ja wohl Angst vor Weibern hätten, und sich für ihre Gottesdienste in die Kloaken der Stadt begäben, und außerdem noch friedliche Kühe ermordeten, Tiere, die dem Menschen nur Gutes täten.
Das erzeugte bei einigen Männern ein derartiges Mißvergnügen, dass Liphardt sich in seinem Ton zurücknahm.
Der besagte Liphardt fuhr also weiter, bis er zum Zollhaus gelangte. Der Zöllner war nirgendwo zu sehen, und Liphardt machte sich daran, die Amphoren in die bereits angelandete Prähme zu laden. Das war nicht ungewöhnlich, denn oft begeben sich die Zöllner nach Ende der Beladung aufs Schiff, um dort den gebührenden Zoll zu erheben. Zwei Matrosen von der Prähme kannten Liphardt als freundlichen, gutmütigen Mann und halfen ihm. Dann besichtigte der Zöllner neben den anderen Waren auch die Weinamphoren Liphardts. Dazu maß er mit dem Zollstock den Inhalt der Gefäße und den Durchmesser derselben, und legte den Tarif nach Einsicht in seine Tabellen fest.
Liphardt protestierte jedoch heftig, der Zollstock des Zöllners sei nicht richtig, und der Zoll, den er entrichten müsse sei somit viel zu hoch. Das ließ den Zöllner, der sich bedroht fühlte den Polizisten heranrufen, der, durch das Gezeter aufmerksam geworden, aus seinem Schilderhaus trat. Der Polizist Brachus Maximus, ein Syrer, kam heran, und schwang seinen sogenannten ,Germanen-Schreck', ein beweglicher Schlagstock, der große Schmerzen beim ungebremsten Gebrauch erzeugt.
Da die Germanen zwar große Raufbolde sind, und keinem Handgemenge, ja, sogar keinem Kampf mit Waffen aus dem Wege gehen, musste das Schlagen des Brachus Maximus Liphardt in seiner Ehre verletzt haben. Unter Wut-und Wehgeheul entriss er dem Polizisten den Schlagstock und warf ihm weit von sich. Der Zöllner, der sich in diesem Moment der Entwaffnung des Brachus Maximus allein gegen Liphardt sah, drang mit seiner Lanze auf diesen ein. Der, völlig ungeschützt, weder durch einen Brustpanzer, noch durch Beinschienen, ergriff die Pike des Zöllners, nachdem die Lanzenspitze ihm die Brust aufgeritzt hatte, und schleuderte diese, mitsamt dem daran hängenden Zöllner in den Fluss.
Brachus Maximus war inzwischen herangekommen, und warf eine Seilschlinge um Liphardt, und zwar so geschickt, dass dieser sich mit den Oberarmen gefesselt sah. Bevor Brachus das Seil vollständig um Liphardts Brust schlingen konnte, riss sich dieser los, das Seil und Brachus hinter sich her schleifend, und eilte zur Prähme.
Diese legte gerade ab, doch dem Fliehenden gelang es, sich über das Bord des Schiffes zu wälzen und bäuchlings liegen zu bleiben. Brachus Maximus, verblüfft durch dieses Manöver, und durch den Schlag des Stiefels Liphardts, den dieser bei der Flucht auf das Schiff verloren hatte, und ihm,Brachus, mit Karracho ins Gesicht geflogen war, hielt nun das Seil fest. Es gelang ihm sogar, das Seil um einen schweren Hafenpoller zu legen. Höhnisch lachte er, als sich das Seil durch das abdriftende Schiff spannte.
Liphardt, immer noch auf dem Boden der Prähme liegend, bemühte sich, die Fesselung zu entfernen. Das gelang ihm, bis sich die Seilschlinge um seine rechte Hand legte. Durch den Zug des Schiffes, dessen Gewicht nun voll auf der Hand Liphardts lag, zog sich auch der Handschuh, den dieser noch an der Hand trug, immer mehr zu. Um nicht über Bord gezogen zu werden, krallte sich Liphardt an jedem greifbaren Gegenstand mit der anderen Hand fest. Auch hielten ihn nun einige Leute auf der Prähme, damit er nicht über Bord ginge.
Das Seil spannte sich stärker, rutschte über Liphardts Daumen. Brachus Maximus lachte laut, und freute sich, den Fisch an Land zu ziehen. Ein Mann auf der Prähme zog seinen Dolch, um das hinderliche Seil zu kappen. Doch es war bereits zu spät. Mit einem Schlag löste sich das Seil mitsamt Handschuh von der Hand Liphardts und klatschte ins Wasser. Gleichzeitig schrie er auf, und alle auf der Prähme schauten entsetzt auf eine heftig blutende Hand, die sich ohne Daumen aufreckte. Auch Brachus am Ufer schrie enttäuscht auf, und hangelte das Seil mit dem Handschuh daran aus dem Wasser.
Die Prähme, befreit von der Fessel, nahm Fahrt auf und setzte über den Rhein. In dem Handschuh wurde ein blutiger, abgerissener Daumen gefunden. Es wurde veranlasst, diese Dinge des Legionärs, und die Dinge der Administration zu den Asservaten zu nehmen, und den Legionär Liphardt sofort fest zu nehmen, wenn er in der C. U. T. auftauche. Der Zollstock hatte tatsächlich eine uns unbekannte Maßeinteilung. Diese basiert auf einer Zehner-Einteilung. Jede kleinere Zehner-Einteilung addiert sich zu jeweils zehn größeren Einteilungen, und diese wiederum in die nächst größeren e.t.c.
Wir können also sagen, dass der Liphardt nicht ganz Unrecht mit seinem Gezeter hatte. Dennoch bleibt es bei dem Haftbefehl, allein schon wegen der wüsten Beschimpfungen unseres Mithras, des Glänzenden, des Unbesiegten.
Eine Bewertung dieses Vorfalls:
Die Sugambrer auf der anderen Seite sind nicht die friedlichen Kuhhirten, wie sie bei uns schon seit langer, langer Zeit leben. Die Sugambrer auf der anderen Rheinseite haben sich mit Anderen zu einem mächtigen Clan zusammengetan. Mitglieder dieser Gemeinschaft setzen ständig über den Rhein, und stromern durch unsere Provinz. Besonders herzliche Aufnahme finden sie bei den Kugernern, die wohl ihre Vetter zu sein scheinen.
Wenn es unserer Majestät gefällt, und unsere Majestät die Meinung eines kleinen, unbedeutenden Ädilen aus Ihrer Majestät Stadt COLONIA ULPIA TRAIANA anhört, wäre es nicht unerhört Ihre Majestät zu bitten, eine zusätzliche Legion zum Schutze unserer Provinz in unsere Garnison legen zu wollen.
Unterschrift: wie oben; Datum: wie oben; Gallus Pictorus Gambius, 1. Ädil "

- Der Berichterstatter der STEINZEIT-ung legt die Blätter zur Seite, und ruft im Internet das Stichwort Xanten zum xten Mal auf. Und bei der Jahreszahl 275 nach unserer Zeitrechnung, als die alte Römerstadt unter dem Ansturm der Franken unterging, kommt ihm in den Sinn, dass dieser kurze Abriss eines kleinen Teils der Geschichte einen Roman wert sei. Aber d a s ist eine andere Geschichte.-

bejot 9/2007

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